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Chinesische Rhetorik oder "Lehre vom Zurechtlegen der Worte"
   

8. Xizi 析字 "Schriftzeichenspalten"

Wenn die geschriebenen Worte so zurechtgelegt werden, dass ein Schriftzeichen gleichsam wie ein Holzstück mit der Axt derart aufgespalten wird, dass jeder abgespaltene Teil selbständig ein neues eigenes Schriftzeichen und Wort ergibt, sprechen die chinesischen Theoretiker vom Wortzurechtlegemuster "Xizi".

Beispiele

1. Beispiel
字下面一個, 這明明是告訴你人是在裏出氣的, 你跟他們談感情呀!
Tian zi xiamian yige li, zhe mingming shi gaosu ni nanren shi zai tianli chu liqi de, ni gen tamen tan ganqing ya!
Unter dem Schriftzeichen für "Feld" ist das Schriftzeichen für "Kraft", was dir ganz klar sagt, dass die Männer auf dem Feld ihre Kraft zum Einsatz bringen. Versuche einmal mit ihnen über Gefühle zu reden!
Quelle: Kang Yunwei "Ehepaar", siehe Xiucixue S. 108
2. Beispiel
此木為柴, 山山出; 因火, 夕夕多.
Ci mu wei chai, shan shan chu; yin huo cheng yan, xi xi duo.
[Ein Holzsammler kommt vom Berg mit einem Reisigbündel auf den Schultern und trifft einen Reisenden. Auf das Bündel zeigend sagt er:] "Dies Holz ist Brennholz, allerorts auf den Bergen wächst es." [In die Landschaft schauend und den Rauch der Abendfeuer betrachtend, entgegnet der Reisende:] "Aufgrund des Feuers entsteht Rauch, allabendlich gibt es viel davon."
Quelle: Ohne Autorangabe, siehe Xiucixue S. 108f

Erinnert an ...

Da gibt es nichts Vergleichbares in Europa.

Ausführliche Erklärung

Der folgende Text ist gleich dem im Buch Xiucixue S. 107ff

A. Das Wortzurechtlegemuster

1. Hinführung

Die Möglichkeit des Xizi verdankt sich der Besonderheit der chinesischen Schrift. Es können die Zeichenkörper mancher der chinesischen Schriftzeichen derart in ihre Bestandteile zerlegt werden, dass jeder abgespaltene Teil selbst wiederum ein eigenständiges Schriftzeichen darstellt. Im Deutschen lässt sich analog nur der Buchstabe w in v und v aufspalten.

2. Das Wort "xizi"

xi bedeutet "spalten" (析 xi = 木 mu "Baum" + 斤 jin "Axt"). 字 zi ist das "Schriftzeichen". Der durch das Wort "xizi" angezeigte Sachverhalt ist das Aufspalten des Schriftzeichens in seine Bestandteile, weshalb es im Deutschen mit "Schriftzeichenspalten" wiedergegeben wird.

3. Begriffsbestimmung

Die Grundlage des Xizi bildet die Beziehung Ganzes-Teil. Sofern ein Beziehungsglied selbst ein Gefüge von Beziehungen ist, ergibt sich eine Staffelung der Ordnungen. Was nur Teil und kein Ganzes ist, bildet die untere Grenze. Was Teil und zugleich Ganzes ist, bildet die Mitte. Was kein Teil (einer höheren Ordnung) und nur Ganzes ist, die obere Grenze.

Nur Teil und kein selbständig bedeutendes Ganzes ist der einzelne Strich des Schriftzeichens (mit Ausnahme von 一 yi "eins"). Die Mitte bilden jene Schriftzeichen, welche einerseits aus anderen Schriftzeichen zusammengesetzt sind, und anderseits zusammen mit anderen Schriftzeichen ein neues Schriftzeichen aufbauen. Kein Teil und nur Ganzes ist ein Schriftzeichen, das aus anderen Schriftzeichen zusammengesetzt ist, sich aber nicht durch Kombination mit anderen Schriftzeichen zu einem neuen Schriftzeichen zusammenfügen lässt. Das Xizi, die Dekomposition von Schriftzeichen in andere Schriftzeichen, ist bei all jenen Schriftzeichen möglich, welche sich aus Schriftzeichen als ihre Teile zusammensetzen. Das sind prinzipiell die Schriftzeichen der Mitte und der oberen Grenze, nicht aber die der unteren, welche sich nur in Striche zergliedern lassen.1

4. Beispiele

Im folgenden ersten Beispiel wird 男 in 田 und 力 aufgespalten. 男 nan bedeutet "Mann", 田 tian "Feld" und 力 li "Kraft". Im Schriftzeichen für "Mann" steht also die "Kraft" unter dem "Feld". Assoziativ verbindet sich damit das Bild eines Bauern, der das Feld bestellt. Im darauffolgenden Beispiel werden die vier Schriftzeichen 柴, 出, 煙 und 多 als jeweils aus zwei anderen zusammengesetzt dargestellt: 柴 = 此 + 木, 出 = 山 + 山, 煙 = 火 + 因, 多 = 夕 + 夕. Vielleicht hat der Autor die vier Schriftzeichen zuerst in Gedanken zerlegt, und sie im Text in umgekehrter Reihenfolge wieder aufgebaut?

Beispiele

字下面一個, 這 明明是告訴你人是 在裏出氣的, 你跟 他們談感情呀!

Tian zi xiamian yige li, zhe mingming shi gaosu ni nanren shi zai tianli chu liqi de, ni gen tamen tan ganqing ya!

Unter dem Schriftzeichen für "Feld" ist das Schriftzeichen für "Kraft", was dir ganz klar sagt, dass die Männer auf dem Feld ihre Kraft zum Einsatz bringen. Versuche einmal mit ihnen über Gefühle zu reden!

(Kang Yunwei "Ehepaar")2



此木, 山山出; 因火, 夕夕多.

Ci mu wei chai, shan shan chu; yin huo cheng yan, xi xi duo.

[Ein Holzsammler kommt vom Berg mit einem Reisigbündel auf den Schultern und trifft einen Reisenden. Auf das Bündel zeigend sagt er:] "Dies Holz ist Brennholz, allerorts auf den Bergen wächst es." [In die Landschaft schauend und den Rauch der Abendfeuer betrachtend, entgegnet der Reisende:] "Aufgrund des Feuers entsteht Rauch, allabendlich gibt es viel davon."

(Ohne Autorangabe)3

5. Aufspaltbare Schriftzeichen

Es ist bereits in der "Begriffsbestimmung" erwähnt worden, dass die Dekomposition von Schriftzeichen in andere Schriftzeichen bei all jenen Schriftzeichen möglich ist, welche sich aus anderen Schriftzeichen als ihre Teile zusammensetzen. Von den sechs traditionell genannten chinesischen Schriftzeichenarten (六書 liu shu) sind es insbesondere zwei, welche sich aufspalten lassen, und zwar die "Gestalt-Laut-Zeichen" und die "Versammelte-Bedeutungen-Zeichen".4

Am häufigsten sind jene chinesischen Schriftzeichen, welche in einem phonetischen Bestandteil die Aussprache anzeigen, die sogenannten 形聲字 xingshengzi "Gestalt-Laut-Zeichen". Das Schriftzeichen ist aus einem Signifikum ("Bedeutungsträger") und Phonetikum ("Lautträger") zusammengesetzt. Sofern sowohl Signifikum als auch Phonetikum eines Signifikum-Phonetikum-Schriftzeichens je als eigenes Schriftzeichen in Gebrauch ist, lässt sich das Schriftzeichen "aufspalten". Das Schriftzeichen 楓 feng "Ahorn" beispielsweise setzt sich aus dem Signifikum 木 mu "Baum" und dem Phonetikum 風 feng zusammen. Da 木 mu und 風 feng als eigenständige Zeichen in Gebrauch sind, lässt sich das Schriftzeichen 楓 feng in 木 mu und 風 feng "aufspalten".

Die 會意字 huiyizi "Versammelte-Bedeutungen-Zeichen" enthalten keinen Lautträger. Es handelt sich um symbolische Zusammensetzungen aus grafischen Abbildungen, welche mitunter auch eigenständig als Schriftzeichen fungieren können. 明 ming "hell" beispielsweise setzt sich aus den Piktogrammen 日 ri "Sonne" und 月 yue "Mond", 林 lin "Wald" aus 木 und 木 mu "Baum", 好 hao "gut" aus 女 "Frau" und 子 zi "Kind" zusammen. Auf diese Weise zusammengesetzte Schriftzeichen lassen sich nicht nur wieder "aufspalten", sondern stellen zugleich eine Möglichkeit dar, die Schriftzeichen in etymologisch korrekter Weise zu dekomponieren (siehe "Gebrauchsregeln").

6. Einteilung5

Das Xizi im hier definierten Sinn umfasst nur die Aufgliederung eines Schriftzeichens in andere selbständige Schriftzeichen. Dem Kommutativgesetz der Mathematik entsprechend kann 男 = 田 + 力 ebenso als 田 + 力 = 男 angesehen werden (die Schriftzeichen stammen aus dem Beispiel oben). Im ersten Fall stehen die dekomponierten Segmente nach, im zweiten vor dem Ganzen. Diese beiden Abfolgeweisen bilden die Grundlage zweier Wortzurechtlegemuster, welche im Folgenden beispielhaft veranschaulicht werden.6

Im kommenden ersten wird 張 in 弓 und 長 aufgegliedert. Die beiden so sich ergebenden Schriftzeichen bilden eigene Wörter: 弓 gong bedeutet "Bogen" und 長 zhang "wachsen". Diese Art, die Schreibweise von Namen anzugeben, ist in China gang und gäbe.

Ganze-Teile-Abfolge

他姓, 弓長張.

Ta xing Zhang, gong-zhang-Zhang.

Er heißt Zhang, das Zhang [bestehend aus dem Schriftzeichen] für "Bogen" und für "wachsen".

(Ohne Autorangabe)7

Der nun folgende Satz wird erst verständlich, wenn die drei Schriftzeichen 米, 田 und 共 in Gedanken zu einem neuen Schriftzeichen, nämlich 糞 fen "Scheiße" zusammengesetzt werden, das zuoberst aus 米 mi "Reis", in der Mitte aus 田 tian "Feld" und zuunterst aus 共 gong "gemeinsam" zusammengesetzt ist.

Teile-ganze-Abfolge

一不小心, 踩上了 "米田共".

Yi bu xiao xin, caishang le "mi-tian-gong".

Sobald er unvorsichtig war, trat er in "Reis-Feld-gemeinsam" [die Scheiße].

(Ohne Autorangabe)8

B. Die Gebrauchsregeln

  • Das Xizi soll kein bloßes Spiel mit Schriftzeichen sein, sondern dem literarisch gehobenen Ausdruck dienen (Forderung nach Ernsthaftigkeit). (HXQ 174 f.)

  • Es sollen nur solche Schriftzeichen aufgespalten werden, welche sich aus eigenständigen Schriftzeichen zusammensetzen. Um zu wissen, welche Schriftzeichen Komposita sind, bedarf es der etymologischen Bildung (Forderung nach Aufspaltung nur von Schriftzeichen-Komposita). (HXQ 175) Das Schriftzeichen 角 jiao "Horn" beispielsweise ist das Abbild eines gestreiften Horns. Das Zerlegen in 刀 dao "Messer" und 用 yong "verwenden" ist daher unzulässig.

  • Die Möglichkeit, Schriftzeichen in andere Schriftzeichen zu zerlegen, ist eine Besonderheit des Chinesischen. Die Besonderheit gilt es zu schätzen und verstärkt zu entwickeln (Forderung nach verstärkter Entwicklung der literarischen Möglichkeiten des Xizi). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 175 f.)

1 In der Nachfolge von Chen Wangdao ist es üblich geworden, unter dem Xizi zudem die theoretische "Aufspaltung" von Schriftzeichen in 形 xing "Gestalt", 音 yin "Aussprache" und 義 yi "Bedeutung" zu verstehen. Das ist eine Unterscheidung der wissenschaftlichen Analyse und nicht ein Wortzurechtlegemuster. Aufgrund dessen werden fälschlicherweise Sprachphänomene unter den Begriff Xizi subsumiert, welche mit der Aufgliederung von Schriftzeichen in andere Schriftzeichen überhaupt nichts mehr zu tun haben. Die Fanqiao-Methode etwa, welche als eine Unterart des Xizi angeführt wird, ist eine Aufspaltung von gesprochenen Silben und nicht von geschriebenen Schriftzeichen (die Silbe tang beispielsweise kann dieser Methode zufolge als aus tu und lang zusammengesetzt dargestellt werden, wenn man von tu das t- und von lang das -ang abspaltet, und die so gewonnenen Teile zu t-ang zusammenfügt). S. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 159 ff., vgl. 陳望道 Chen Wangdao: 修辭學發凡 Xiucixue fafan "Grundriss der Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Shanghai, Jiaoyu chubanshe 1979, S. 145 ff.

2 康芸薇 Kang Yunwei: 佳偶 Jia'ou "Glückliches Ehepaar". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 169.

3 Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 162. Die Interpretation der Gesprächssituation in den Klammern stammt von SMITH 160.

4 Vgl. NEEDHAM I 27 ff., KARLGREN 32 ff., WIEGER 10 ff., GABELENTZ 47 ff., SCHMIDT-GLINTZER 20/245.

5 Die Einteilung von Huang Qingxuan/ ChenWangdao (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 159 ff., 陳望道 Chen Wangdao: 修辭學發凡 Xiucixue fafan "Grundriss der Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Shanghai, Jiaoyu chubanshe 1979, S. 145 ff.) wird hier nicht übernommen.

6 Vgl. 離合 lihe "Trennen und Verbinden": 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 159 ff., 陳望道 Chen Wangdao: 修辭學發凡 Xiucixue fafan "Grundriss der Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Shanghai, Jiaoyu chubanshe 1979, S. 146 f.

7 Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 171.

8 Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 171.