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Chinesische Rhetorik oder "Lehre vom Zurechtlegen der Worte"
   

10. Wanqu 婉曲 "Krümmen"

Das "Wanqu" ist das Zurechtlegen der Worte derart, dass sie den Gegenstand nur umschreiben oder andeuten, ihn aber nicht direkt bezeichnen.

Beispiele

Klassisches Chinesisch
"你在尋什麼?" "尋找我 頰邊失落的顏色."
"Ni zai xun shenme?" "Xunzhao wo jiabian shiluo de yanse."
"Was suchst du?" "Ich suche die verlorenen Farben meiner Wangen."
Quelle: Zhang Xiuya "Kindheitsgedanken", siehe Xiucixue S. 128
Modernes Chinesisch
小孩子上山就得採花; 到海邊就得檢貝殼, 書袋子進圖書館想撈新智慧 -- 出門人到了巴黎就想 ...
Xiao haizi shang shan jiu dei cai hua; dao haibian jiu dei jian beike, shudaizi jin tushuguan xiang lao xin zhihui - chumenren dao le Bali jiu xiang ...
Wenn Kinder auf die Berge gehen, müssen sie Blumen pflücken; am Strand müssen sie Muscheln sammeln; Büchernarren gehen in die Bibliotheken und wollen sich neues Wissen herausfischen - Leute, welche das Heim verlassen und nach Paris fahren, möchten ...
Quelle: Xu Zhimo "Pariser Fragmente", siehe Xiucixue S. 128

Erinnert an ...

  • "Tropus"
  • "Trope"
  • "Anspielung"
  • "Umschreibung"
  • "Mitverstehen"
  • "Euphemismus"
  • "Aposiopese"

Ausführliche Erklärung

Der folgende Text ist gleich dem im Buch Xiucixue S. 125ff.

A. Das Wortzurechtlegemuster

1. Hinführung

In der Methodik des Verstehbarmachens, der Hermeneutik, gibt es die Unterscheidung der Wort-, Satz-, und Textbedeutung in sensus litteralis und sensus allegoricus, geläufig unter der Bezeichnung "buchstäblicher Sinn" und "übertragener Sinn". 1 Seine Felle davonschwimmen sehen zum Beispiel buchstäblich aufgefasst, bedeutet, dass jemand tatsächlich am Flussufer steht, seine erbeuteten Felle von Dreck und Blut waschen will, sie aber aus der Hand verliert und fortschwimmen sieht, ohne sie zurückholen zu können; im übertragenen Sinn meint die Wendung den Verlust eines mühsam erlangten Guts, das man bereits in seinem sicheren Besitz wähnte. Der "litterale Sinn" der Worte bezeichnet Sache, Person oder Geschehen direkt, ohne Umschweife; der "allegorische Sinn" hingegen ist gleichsam wie ein Rätsel aufgegeben, muss erst gesucht werden, nachdem das Verstehen am Text die Erfahrung gemacht hat, dass es so, wie es auf Anhieb die Worte aufgefasst hat, in Wahrheit nicht gemeint sein kann.

sensus litteralis und sensus allegoricus

Diese Krümmung, welche das Verstehen im allegorischen Sinnverständnis nachzuvollziehen hat, wird durch den chinesischen Ausdruck "Wanqu", "Krümmen der Worte", deutlich bezeichnet. Das Gegenteil wäre das "Gerademachen der Worte", wofür aber ein Terminus im hier dargestellten Begriffskatalog der Xiucixue fehlt.

Ich möchte noch auf eine andere, spielerische Weise, zum Verständnis des Wanqu hinführen. Der Leser möge das folgende Sprachspiel selbst versuchen, das ich "Umstellspiel" nenne. Aus "alltäglichen Sätzen" werden dadurch zuweilen "poetische Sätze", welche sich nur im allegorischen Sinn verstehen lassen.

Umstellspiel

Spielanleitung: Nimm zwei gewöhnliche Alltagssätze, die möglichst einfach und grammatisch ähnlich gebaut sind, sowie auf anschauliche und nicht abstrakte Weise Sachen, Personen oder Geschehnisse bezeichnen. Vertausche sodann willkürlich zwei gleiche Satzglieder, so dass sich zwei unerwartet neue Sätze ergeben. Probiere so lange, bis du die Alltagssätze verlassen hast. Versuche jeden, selbst den abstrusesten Satz auf die eine oder andere Weise allegorisch zu verstehen, selbst wenn der Sinn anfangs sehr rätselhaft und abwegig erscheint. Erinnere wahre oder erfinde phantastische Situationen so lange, bis sich ein Sinn einstellt.

Umstellspiel: Schalt das Licht aus - Paul Celan Schalt das Wort aus

Analoge Termini

  • Rhetorik

LAUSBERG Bd. 1 S. 282 ff: "tropus"

LEMMERMANN S. 127 f: "Anspielung", S. 128: "Umschreibung", S. 130 f: "Mitverstehen"

  • Poetik (Stilistik)

THALMAYR S. 47 f: "Euphemismus" , S. 98 ff: "Aposiopese" (Textbeispiele)

  • Literaturwissenschaft

LINK S. 140 ff: "Trope"

2. Das Wort "wanqu"

wan und 曲 qu gehören zu jener Gruppe von Wörtern, deren gemeinsames Merkmal die Bezeichnung des Nichtgeraden (不直 bu zhi "nicht gerade") ist (屈 qu, 詘 qu, 曲 qu, 枉 wang, 宛 wan, 彎 wan) 2 . Die Wortgruppe bezeichnet vor allem "gekrümmte" Dinge. Dem Schriftzeichen 婉 wan ist im Unterschied zu 宛 wan das Schriftzeichen 女 "Frau" vorangestellt, so dass 婉 wan das Nichtgerade im menschlichen Bereich anzeigt. Es kann beispielsweise die Art des Sprechens entweder "gerade und offen" (說話 很直爽 shuo hua hen zhishuang) oder "verhohlen und umschweifig" (說話 很婉轉 shuo hua hen wanzhuan) sein. Im ersten Fall wird die Meinung unvermittelt ausgesprochen, im zweiten wird etwas vorgeschoben, von dem aus der Rezipient auf das eigentlich Gemeinte zu folgern hat.

3. Begriffsbestimmung

Das Wanqu ist der Wortgebrauch in übertragener Bedeutung. Das Verständnis der vermittels eines Wanqu gebildeten Sätze erfolgt stufenweise. Der Satz A fundiert die Bedeutung B, und die Bedeutung B wiederum fundiert die Bedeutung C. Der Satz A wird nur verstanden, wenn das Verständnis bei B nicht haltmacht und zu C fortschreitet. Dem Sprachgebilde liegt daher in semantischer Hinsicht eine transitorische Relation zugrunde, zumal das Verständnis von C über B vermittelt ist und B nur eine Durchgangsstufe darstellt. Die Funktion des Wanqu besteht in der Bildung dieser Art der Verstehensgrundlage.

4. Beispiele

Im folgenden ersten Beispiel wird die Bedeutung "Kindheit" durch das Beschreiben einer typischen Eigenschaft von Kindern paraphrasiert. Im zweiten Beispiel wird Kritik an den Touristen geübt, die nach Paris kommen. Die Kritik selbst wird nicht ausgesprochen. Bevor sie ausgesprochen wird, reißt der Satz zwar ab, aus den vorhergehenden Sätzen lässt sich jedoch das Fehlende ableiten und ergänzen. In beiden Fällen wird das "eigentlich Gemeinte" zwar angezeigt, aber nicht ausgesprochen.

Beispiele

"你在尋什麼?" "尋找我 頰邊失落的顏色."

"Ni zai xun shenme?" "Xunzhao wo jiabian shiluo de yanse."

"Was suchst du?" "Ich suche die verlorenen Farben meiner Wangen."

(Zhang Xiuya "Kindheitsgedanken") 3



小孩子上山就得採 花; 到海邊就得檢貝殼, 書獃子進圖書館想撈新 智慧 – 出門人到了 巴黎就想 ...

Xiao haizi shang shan jiu dei cai hua; dao haibian jiu dei jian beike, shudaizi jin tushuguan xiang lao xin zhihui – chumenren dao le Bali jiu xiang ...

Wenn Kinder auf die Berge gehen, müssen sie Blumen pflücken; am Strand müssen sie Muscheln sammeln; Büchernarren gehen in die Bibliotheken und wollen sich neues Wissen herausfischen – Leute, welche das Heim verlassen und nach Paris fahren, möchten ...

(Xu Zhimo "Pariser Fragmente") 4

5. Das semantische Schichtengebilde

Die eigentümliche Struktur des Wanqu lässt sich im Bild der Schichtung erfassen. In einem Schichtengebilde trägt jeweils die untere die obere Schicht, und die oberste wird durch Vermittlung aller zugrundeliegenden getragen. Die nächst untere Schichte könnte stets ohne die nächst obere existieren. Die nächst obere hingegen hat jeweils die nächst untere zu ihrer Voraussetzung. In ähnlicher Weise sind die Dependenzverhältnisse des Wanqu beschaffen.

Es gibt mehrere Sinnschichten. Die unterste Schicht bildet das Verständnis des Satzes im wortwörtlichen Sinn. Dieses "naive" Sinnverständnis des Satzes fundiert den übertragenen Sinn. Das heißt, es kann zwar der wortwörtliche Sinn ohne den übertragenen existieren, der übertragene hingegen ist in seiner Existenz von ersterem abhängig, ein Abhängigkeitsverhältnis, das sich im Prozess des Verstehens bekundet, zumal dem Erfassen des übertragenen das Verständnis des buchstäblichen Sinns vorangehen muss.

Der übertragene Sinn kann sich aus weiteren Sinnschichten zusammensetzen. In der Textinterpretation beispielsweise wird nicht selten wiederholt von einer Sinnschicht zur nächsten fortgegangen. Das Verständnis des mithilfe des Wanqu gebildeten Satzes ist eine "Minimalinterpretation", zumal es in der Regel von der wortwörtlichen Bedeutung nur auf die nächsthöhere Sinnschicht weitergeht, um bei dieser stehenzubleiben.

Der Sinn, bei welchem das Verständnis ansetzt, lässt sich füglich als "Primärsinn" bezeichnen. Die vermittelnden Sinnschichten, welche zwischen dem Primärsinn und der letzten Sinnschicht stehen, als "(primärer, sekundärer, tertiärer ...) Medialsinn". Die letzte Sinnschicht ist der "Terminalsinn". Das Verständnis des Wanqu setzt beim Primärsinn an und zielt auf das Verständnis des Terminalsinns. Der Terminalsinn kann durch mehrere Medialsinne vermittelt sein. Da jeweils die untere Sinnschicht von der oberen unabhängig ist, ergibt sich "von unten nach oben" kein notwendiges Sinnverständnis, das heißt, das Verstehen der jeweils nächsthöheren Sinnschicht hat den Charakter des Erratens. Erst nachdem die getragenen Sinnschichten erfasst worden sind, erscheint das Sinnverständnis ex post in der Weise notwendig, dass man zu der Sinnschicht D nur dann gelangen kann, wenn man die Sinnschichten A, B und C durchlaufen hat, mehr noch, dass A notwendig B, B notwendig C, und C notwendig das Verständnis von D erfordert, ansonsten einem das "eigentlich Gemeinte" verschlossen bleibt.

Insofern erscheint jede Interpretation im Anfang als willkürlich. Erst die fertige Interpretation kann in sich als konsequent gelten. Die Möglichkeit der Fehlinterpretation, ob im Kleinen oder Großen, beruht in wesentlichem Maß auf der Ignoranz der in dem Sinnschichtengebilde des Textes gegebenen Dependenzverhältnisse.

6. Einteilung und Arten

Formal kann das Wanqu, wie die "Beispiele" oben anschaulich belegen, nach der Satzstruktur eingeteilt werden. Entweder handelt es sich um ganze oder abgebrochene Sätze 5 . Inhaltlich ist das Wanqu entweder eine Umschreibung oder eine Anspielung. 6 Die folgende Einteilung berücksichtigt vornehmlich die inhaltliche Seite.

Klassifikation - Überblick

  • Umschreibung
  • Anspielung

a) Umschreibung

Die Umschreibung gleicht der Definition. Das rotbackige Jungsein (konstruiert) etwa wird in dem Textauszug von Zhang Xiuya (siehe oben) mit den Worten die verlorenen Farben der Wangen umschrieben. In Form einer nicht wissenschaftlichen, sondern literarischen Definition, stellt sich diese Umschreibung so dar: rotbackiges Jungsein (Definiendum) = verlorenen Farben der Wangen (Definiens). Das Definiendum bildet das Umschriebene, das Definiens das Umschreibende. Der Autor ersetzt bei der Bildung einer Umschreibung das Definiendum durch das Definiens. Der Rezipient hingegen kehrt beim Verstehen der Umschreibung diesen Vorgang um und ersetzt das Definiens durch das Definiendum.

Im folgenden ersten Beispiel im klassischen Chinesisch wird die einzigartige Menschlichkeit von Shu umschrieben. Wenn es mehrere wie Shu gäbe, wären die Straßen, durch welche er geht, nicht menschenleer. Da keiner wie er ist, ein guter und gütiger Mensch, ein Mensch im emphatischen Sinn, so sind sie menschenleer, selbst wenn sich die Menschen in ihr drängen. Im folgenden zweiten Beispiel im modernen Chinesisch ist es das Ende des Sommers, das umschrieben wird.

Beispiel: Klassisches Chinesisch

叔于田, 巷若無人, 豈無人居, 不如叔也, 洵美且仁.

Shu yu tian, xiang ruo wu ren, qi wu ren ju, bu ru Shu ye, xun mei qie ren.

Shu geht aufs Feld, / die Straßen sind wie menschenleer. / Sind dort tatsächlich keine Menschen? / [Nein], sie sind nicht wie Shu, / der wirklich schön und menschenfreundlich ist.

("Buch der Lieder") 7

Beispiel: Modernes Chinesisch

就這麼一個長長的 白畫又接著一個美麗的夜 消逝了, 茉莉花香淡了, 蟬聲也沉寂了, 竹榻涼 的生寒.

Jiu zhenme yige changchang de baihua you jiezhe yige meili de ye xiaoshi le, molihuaxiang dan le, chansheng ye chenji le, zhuta liang de sheng han.

Soeben ist diese eine lange weiße Malerei, wieder gefolgt von einer schönen Nacht, vergangen, der Duft der Chrysanthemenblüten ist schwächer geworden, auch das Grillenzirpen ist völlig verstummt, das Kühle der Bambuspritsche wird kälter.

(Ai Wen "Granatapfelbaum-Blüte") 8

b) Anspielung

Vermöge der Umschreibung wird ein Begriff durch eine Kette anderer ersetzt. Das bedeutet, dass eine Umschreibung sprachlich sein muss, weshalb die drei Auslassungspunkte des Satzabbruchs (" ... ") nicht Anzeichen einer Umschreibung sein können. In der Regel sind sie das Merkmal der Anspielung. Die Anspielung ist im Gegensatz zur Umschreibung nicht eine ausgeführte Sachverhaltsdarstellung, sondern eine verstümmelte Sachverhaltsdarstellung in der Weise, dass eine Sachverhaltsdarstellung zwar begonnen, aber nicht vollendet wird ("Ansetzen" plus "Verschweigen"). So lässt sich aus jeder ausgeführten Sachverhaltsdarstellung dadurch eine Anspielung machen, dass nur ihr Beginn gesetzt, der Rest hingegen ausgelassen wird. Im Verstehen einer Anspielung wird dieser Vorgang wieder umgekehrt. Der Rezipient muss, um die Anspielung zu verstehen, die vom Autor zwar begonnene aber nicht ausgeführte Sachverhaltsdarstellung selbständig zuende führen. Stimmen beide Sachverhaltsdarstellungen, die des Autors und die des Rezipienten, miteinander überein, hat letzterer die Anspielung richtig verstanden.

Hua Du hatte seinen Fürsten ermordet und galt als das Musterbeispiel eines Menschen mit einem 無君之心 wu jun zhi xin "Herz ohne Fürst". Auf diese Begebenheit spielt Hua Ou, welcher mit Hua Du verwandt ist, in den Sätzen des folgenden Beispiels im klassischen Chinesisch an. Ein zweites Beispiel im modernen Chinesisch ist bereits oben (Xu Zhimo "Pariser Fragmente") angeführt worden.

Beispiel: Klassisches Chinesisch


三月, 宋華耦來盟. [...] 公與之宴. 辭曰: "君 之先臣督, 得罪于宋 殤公, 名在諸侯之 策. 臣承其祀, 其敢辱 君? 請承命於亞旅." 魯人以為敏.

San yue, Song Hua ou lai meng. [...] Gong yu zhi yan. Ci yue: "Jun zhi xian chen Du, de zui yu Song shang gong, ming zai zhu hou zhi ce. Chen cheng qi si, qi gan ru jun? Qing cheng ming yu ya lü." Lu ren yi wei min.

Im dritten Monat kam Song Hua Ou [Kriegsminister des Song-Herrscherhauses], um sich zu verbünden. [...] Der Herzog [Wen von Lu] machte Anstalten, mit ihm zu bankettieren. Jener lehnte jedoch mit den Worten ab: "[Hua] Du, einer meiner Verwandten, hatte sich einst dem Song-Herrscherhaus gegenüber schuldig gemacht, er tötete den Herzog, sein Name wird in allen Fürstenannalen genannt. Mit seinen Opfern beladen, darf ich es da wagen, Euch zu beleidigen? Gebt mir Eure Befehle durch einen Vize- [einen niederrangigeren Beamten]." Die Leute von Lu hielten dies [sein Verhalten] für scharfsinnig.

("Kommentar des Zuo") 9

B. Die Gebrauchsregeln

  • Das Wanqu soll nicht als Mittel des 寫景 xiejing "Landschaftsbeschreibung", sondern des 抒情 shuqing "Gefühlsausdruck" gebraucht werden (Forderung nach Beschränkung des Gebrauchs auf den "Gefühlsausdruck"). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 205) Die Gefühle lassen sich nicht einfach und direkt benennen, sondern meistens nur umschreiben und andeuten, so dass das Wanqu im Feld des Gefühlsausdrucks seinen angestammten und natürlichen Bereich besitzt. Die folgenden ersten zwei Textauszüge sind Beispiele für Landschaftsbeschreibungen. Das erste gilt als misslungen, weil es sich in obskuren Umschreibungen und Anspielungen ergeht. Das zweite hebt sich dagegen vorbildlich durch das Verwenden einer schlichten Sprache ab, welche des Wanqu enträt. Die Verse sind schön durch Klarheit. Das dritte Beispiel zeigt das Wanqu regelrecht als Mittel des Gefühlausdrucks.

    Regelwidriges Beispiel: Landschaftsbeschreibung (Wanqu)

    小樓連苑橫空,
    下窺繡轂雕鞍驟.

    Xiao lou lian yuan heng kong, xia kui xiu gu diao an zhou.

    Das kleine Gebäude verbunden mit dem Garten, quer und leer, / späht man hinunter, so sieht man eine gestickte Radnabe und einen geschnitzten Sattel traben.

    (Qin Guan "Wasserdrache") 10

    Regelrechtes Beispiel: Landschaftsbeschreibung (kein Wanqu)

    細雨魚兒出,
    微風燕子斜.

    Xu yu yuer chu, / wei feng yanzi xie.

    Nieselregen, Fische springen, / sanfter Wind, Schwalben segeln.

    (Du Fu) 11

    Regelrechtes Beispiel: Gefühlsausdruck (Wanqu)

    玉階生白露,
    夜久侵羅襪.
    卻下水晶簾,
    玲瓏望秋月.

    Yu jie sheng bai lu, ye jiu qin luo wa. Que xia shui jing lian, ling long wang qiu yue.

    Auf der Jadetreppe bildet sich weißer Tau, / die Nacht währt lange, dringt in die seidenen Strümpfe ein. / Zieht sich zurück, fällt herab, wasserfahl, der Vorhang, / rein und hell, betrachtet den Herbstmond.

    (Li Bai "Jadetreppe") 12

  • Obschon beide, der Disput und die Poesie, emotional sind, und insofern beide dem "Gefühlsausdruck" zuzurechnen sind, soll ersterer sachlich bleiben. Umschreibung und Anspielung sind von der geistigen Auseinandersetzung fernzuhalten, zumal es während dieser gerade um das Gegenteil, nämlich um die genaue und vollständige, direkte und treffende Sachverhaltsdarstellung geht (Forderung nach Beschränkung des Gebrauchs innerhalb des "Gefühlsausdrucks" auf die Poesie). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 207)

  • Das Wanqu soll zwar verhalten, aber nicht obskur sein (Forderung nach Verständlichkeit). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 208)

    Regelwidriges Beispiel

    殞石打在粗布的肩上 水聲傳自星子的舊鄉 而峰巒蕾一樣地禁錮著花 在我們的跣足下 不能再前 前方是天涯

    Yun shi da zai cu bu de jian shang shui sheng chuan zi xingzi de jiu xiang er fengluan lei yiyang de jinguzhe hua zai women de xianzu xia bu neng zai qian qianfang shi tianya.

    Die sterbenden Steine schlagen auf die Schultern des groben Stoffs / Wassergeräusch rührt von der alten Heimat der Sterne her / und der Gebirgskamm ... sperrt wie eine Knospe die Blumen ein / unter unseren bloßen Füßen / man kommt nicht noch weiter ... vorne ist der Himmelsrand

    (Zheng Chouyu "Damm") 13

1 Szondi 14 ff.

2 Vgl. WANG FENGYANG 933.

3 張秀亞 Zhang Xiuya: 幼思篇 Yousi pian "Kindheitsgedanken-Kapitel". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 204.

4 徐志摩 Xu Zhimo: 巴黎鱗爪 Bali linzhao "Pariser Fragmente". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 203.

5 Zum Satzabbruch (Anakoluth) vgl. Kap. 30 (Tiaotuo).

6 Die Einteilung in "Umschreibung" (不說本事單將余事來烘托本事 bu shuo benshi dan jiang yushi lai hongtuo benshi "die eigentliche Sache nicht aussprechen, sondern statt dessen eine andere Sache dazu verwenden, die eigentliche Sache hervortreten zu lassen") und "Anspielung" (說到本事的時候只用隱約閃爍的話來示意 shuodao benshi de shihou zhi yong yinyue-shanshuo de hua lai shiyi "wenn man über die eigentliche Sache spricht, nur eine vag-glitzernde Sprache verwenden, um seinen Sinn auszudrücken) folgt 陳望道 Chen Wangdao: 修辭學發凡 Xiucixue fafan "Grundriss der Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Shanghai, Jiaoyu chubanshe 1979, S. 135 ff., vgl. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 197 ff.

7 詩經 Shi jing "Buch der Lieder", 國風 Guo feng, 鄭風 Zheng feng, 叔于田 Shu yu tian. Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 197. Vgl. SHIJING 1985 127, SHIJING 1880 155.

8 艾雯 Ai Wen: 石榴花 Shiliuhua "Granatapfelbaum-Blüte". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 200.

9 左傳 Zuo zhuan "Kommentar des Zuo", 文公 Wen gong "Herzog Wen", 十五年 shiwu nian "Fünfzehntes Jahr". Zit. n. 陳望道 Chen Wangdao: 修辭學發凡 Xiucixue fafan "Grundriss der Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Shanghai, Jiaoyu chubanshe 1979, S. 136, vgl. ZUOZHUAN 269 ff.

10 秦觀 Qin Guan (秦少游 Qin Shaoyou): 水龍唸首 Shuilong nian shou "Der Wasserdrache liest ein Gedicht". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 205.

11 杜甫 Du Fu. Ohne Titelangabe. Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 205.

12 李白 Li Bai: 玉階怨 Yu jie yuan "Jadetreppe-Klage". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 205. Vgl. LI BAI 48.

13 鄭愁予 Zheng Chouyu: 壩上印象 Ba shang yinxiang "Eindrücke auf dem Damm". Zit. n. 黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 208.