18. Xiangzheng 象徵 "Symbol"
Die Worte können so zurechtgelegt werden, dass ein sichtbarer, fasslicher Gegenstand vorgestellt wird, der eine abstrakte Bedeutung vertritt. Das zugrundeliegende Wortzurechtlegemuster heißt "Xiangzheng".
Beispiel
Klassisches Chinesisch
桃之夭夭,
灼灼其華.
之子于歸,
宜其室家.
Tao zhi yao yao,
zhuo zhuo qi hua.
Zhi zi yu gui,
yi qi shi jia.
Des Pfirsichbaums ... jung und sprießend, / leuchtend und hell sind seine Blüten./ Das Mädchen kehrt heim, / macht ihre Kammer und das Haus zurecht.
Quelle: "Buch der Lieder",
siehe Xiucixue
S. 243
Erinnert an ...
- "Signum"
- "Symbol"
- "Pictura - Subscriptio"
Ausführliche Erklärung
Der folgende Text ist gleich dem im Buch Xiucixue S. 239 ff.
A. Das Wortzurechtlegemuster
1. Hinführung
Im folgenden Gedicht von Heinrich Heine wird
ein weithin bekanntes Symbol thematisiert: der Tanz um das goldene
Kalb.
Es stammt aus der Bibel, Moses, II. Buch, Kapitel 32.
Das goldene Kalb
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Doppelflöten, Hörner, Geigen
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Spielen auf zum Götzenreigen,
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Und es tanzen Jakobs Töchter
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Um das goldne Kalb herum
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Brum – brum – brum ?
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Paukenschläge und Gelächter!
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Hochgeschürzt bis zu den Lenden
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Und sich fassend an den Händen,
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Jungfraun edelster Geschlechter
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Kreisen wie ein Wirbelwind
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Um das Rind
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Paukenschläge und Gelächter!
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Aaron selbst wird fortgezogen
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Von des Tanzes Wahnsinnwogen,
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Und er selbst, der Glaubenswächter,
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Tanzt im Hohenpriesterrock
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Wie ein Bock -
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Paukenschläge und Gelächter!
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Schlägt man in der Luther-Bibel nach, in
der Faksimileausgabe der Biblia
Germanica von 1545 (Ausgabe letzter
Hand), so findet sich in dem angegebenen Kapitel ein Abdruck eines
Holzschnitts, welcher den Reigen, Aaron und den zurückgekehrten
Moses zeigt. Luther bemerkt in der Randglosse:
Das ist / Er malet es jnen fur
/ was sie fur ein Bilde machen solten. Das bedeutet / das menschen
lere dem volck furbilden / was sie fur werck thun sollten / da mit
sie Gott dienen. Denn hie sihestu das die in diesem Kalbe vermeinet
haben / dem rechten Gott zu dienen weil Aaron ruffen lesst / Es sey
des HERRN Fest / und bawet im einen Altar
Diese
Anordnung ist wesentlich für das Symbol: einem Bild wird eine
Bedeutung zugeordnet, nur dass es sich beim literarischen Symbol
nicht um ein visuelles, sondern sprachliches Bild handelt. Beim
Verstehen des Symbols muss das sprachliche Bild nicht sonders
interpretiert werden. Das Ergebnis der Interpretation liegt gleichsam
schon fertig und griffbereit im Gedächtnis des Rezipienten vor
und muss nur noch zur Anwendung gebracht werden.
Das literarische Symbol ist
1. ein sprachliches Bild; diesem sprachliche Bild wird
2. eine Bedeutung als das Ergebnis einer Interpretation
fest zugeordnet (Code); um das sprachliche Bild in seinem
Symbolgehalt zu verstehen, muss
3. nur an die Zuordnung Bild-Bedeutung (Bedeutung = Ergebnis einer
Interpretation) erinnert werden; es bedarf keiner neuen
Interpretation (Interpretationsökonomie); ein sprachliches Bild,
dessen Bedeutung noch nicht feststeht, ist kein Symbol; erst wenn
unmittelbar mit dem sprachlichen Bild eine Bedeutung verbunden wird,
und zwar eine Bedeutung, die an anderer Stelle dem sprachlichen Bild
zugeordnet worden ist, handelt es sich um ein literarisches Symbol
(andernfalls handelt es sich um eine allegorische Deutung des
sprachlichen Bilds, einer Übergangsstufe
in der Symbolbildung); der Symbolgehalt ist somit
4. doppelt relativ:
a. relativ auf ein
vergangenes Interpretations- und Zuordnungsereignis; je nach
Zuordnung verschiedener Interpretationsergebnisse einem und dem
gleichen sprachlichen Bild bedeutet das Bild etwas Anderes;
b. relativ auf die
Person, welcher die Zuordnung bekannt ist; wem die Zuordnung des
Interpretationsergebnisses unbekannt ist, dem entgeht die
Symbolbedeutung des Bilds.
Analoge Termini
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LAUSBERG Bd. 1 S. 195
ff. : "signum"
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LINK S. 168 ff., 366
ff. : "Symbol" (Pictura - Subscriptio)
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2. Das Wort "xiangzheng"
象
xiang
bezeichnet eine "(wechselhafte) Gestalt" (im Gegensatz zu 形
xing
"(gleichbleibende) Gestalt") wie beispielsweise die
Wechselgestalten des Wetters, des Nachthimmels, der Landschaft und
der Geschichte (氣象 qixiang,
星象 xingxiang,
景象 jingxiang,
歷象 lixiang).
Da es veränderliche Gestalten sein müssen, welche im
mythischen Weltbild als Ausdruck des Willens einer personal
vorgestellten Transzendenz (天 tian
"Himmel" im alten China) interpretiert werden, so dienen
die Wechselgestalten als Symbolträger, weshalb 象
xiang
zudem "Symbol" bedeutet. Am Verlauf einer Weissagung lassen
sich mehrere Stadien unterscheiden: das Fragenstellen, das Gewinnen
des Zeichens, die Interpretation des Zeichens und das Beunwahrheiten
oder Bewahrheiten der Zukunftsprognose. In diesem Verlauf dienen die
Wechselgestalten als interpretierbare Zeichen.
徵
zheng
ist die Entsprechung des Weisgesagten in der Realität, das
heißt, die eingetretene Zukunft, welche die vorausgesagte
Zukunft entweder widerlegt oder bestätigt. 徵
zheng
bedeutet daher auch "Beweis".
Das Wort "xiangzheng" wird heute allgemein im Sinn von
"Symbol" verwendet.
3. Begriffsbestimmung
Das Xiangzheng ist das Ergebnis der Verknüpfung eines
sprachlichen Bilds mit einer Bedeutung. Die Verknüpfungsform ist
die Implikation (Wenn-dann-Verbindung): wenn das sprachliche Bild P –
so die Bedeutung S (P = Pictura, S = Subscriptio) (vgl. 12. Piyu
, "Einteilung und Arten", ). Die Verknüpfung ist jedoch nicht logisch, sondern
alogisch, nämlich arbiträr und eventuell konventionell.
Eine logische Implikation wäre beispielsweise "Wenn das
Buch auf dem Tisch liegt (Bedingungssatz), dann ist der Tisch
unter dem Buch (Folgerungssatz)." Der Folgerungssatz
lässt sich gesetzmäßig erschließen: immer wenn
A auf B liegt, muss B unter A sein: nun A auf B, folglich B unter A.
Eine alogische Implikation ist "Wenn sich eine weiße
Taube am Himmel zeigt (Pictura), dann bedeutet es, dass es
Frieden gibt (Subscriptio)." Der Folgerungssatz lässt
sich in keiner Form logisch gültig aus dem Bedingungssatz
erschließen, da kein allgemeiner und in sich notwendiger
Sachverhalt die Satz-Grundlage bildet. Das Xiangzheng ist seiner
allgemeinen Form nach eine alogische Implikation. Ein Xiangzheng
lässt sich daher nur dann verstehen, entweder wenn der Rezipient
über die Bild-Bedeutung-Verbindung in irgendeiner Weise zuvor
kundig geworden ist (konventionelles Symbol), oder die Verbindung
etwa durch eine gedankliche Assoziation, welche ebenfalls alogisch
ist, regelmäßig selbst herstellt (unkonventionelles
Symbol).
4. Beispiele
Ein Beispiel für ein lexikalisiertes
chinesisches Symbol ist die Lotosblume, welche, weil sie zwar aus dem
Schmutzwasser kommt, aber nicht beschmutzt wird, den abstrakten
Begriff "Reinheit" symbolisiert.
Die frühlingshafte Blütenpracht des Pfirsichbaums im
folgenden Textbeispiel steht laut Huang Qingxuan (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 342) symbolisch
für Fülle und Schönheit.
Klassisches Chinesisch
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桃之夭夭,
灼灼其華.
之子于歸,
宜其室家.
Tao zhi yao yao,
zhuo zhuo qi hua.
Zhi zi yu gui,
yi qi shi jia.
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Des Pfirsichbaums ... jung und sprießend, / leuchtend und
hell sind seine Blüten./ Das Mädchen kehrt heim, /
macht ihre Kammer und das Haus zurecht.
("Buch der
Lieder")
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5. Einteilung und Arten
Das Xiangzheng wird nach den Symbolträgern
eingeteilt. Symbolträger können sein die Handlungs- und
Ereignisstruktur einer erzählten Geschichte, eine Person oder
ein Gegenstand.
Klassifikation - Überblick
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Handlungs- und Ereignisstruktur als Symbol
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a) "Symbol hinsichtlich der Struktur"
(結構方面的象徵
jiegou fangmian
de xiangzheng)
Die erste Art des Symbols besteht darin, dass
die Handlungs- und Ereignisstruktur einer erzählten Geschichte
als Symbol fungiert. Die Art des Wechselspiels von Handlung und
Ereignis steht allegorisch für einen allgemeinen Gedanken, eine
Idee, welche durch die Geschichte ihre beispielhafte Konkretion
erfährt. Die beschwerliche Reise der Pilger und ihre
erfolgreiche Rückkehr in dem Roman Die
Reise nach dem Westen (西遊記
Xiyou
ji) von Wu Cheng'en kann
beispielsweise als Symbol dafür verstanden werden, dass jede
Form der Erlösung sich nur kompensatorisch durch Leiden erkaufen
lässt.
b) "Symbol hinsichtlich der Person"
(人物方面的象徵
renwu fangmian de
xiangzheng)
Die zweite Art des Symbols besteht im Symbolgehalt von Personen.
So kann etwa Sun Wukong in dem erwähnten Roman Die Reise nach
dem Westen, ein Affe, welcher menschliche wie übermenschliche
Züge aufweist, als Sinnbild für die ebenso entschlossene
wie optimistische Auflehnung gegen die traditionelle Ordnung
betrachtet werden. Zhu Bajie hingegen, halb Schwein, halb Mensch,
steht symbolisch für Faulheit, Fresslust und Geilheit, Unarten,
die letztlich harmlos bleiben.
c) "Symbol hinsichtlich des Gegenstands"
(事物方面的象徵
shiwu fangmian de
xiangzheng)
Die dritte Art des Symbols besteht im
Symbolgehalt von Gegenständen. Die Lotosblume als Symbol der
Reinheit ist bereits genannt worden. In Zhu Ziqings Rückenansicht
(背影
Beiying)
beispielsweise symbolisiert der vom Vater für das erzählenden
Ich angefertigte Mantel Schutz und Geborgenheit.
B. Die Gebrauchsregeln
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Der Symbolgehalt soll
sich mit innerer Konsequenz aus dem Dargestellten wie von selbst
ergeben. Im folgenden regelrechten Beispiel ist es das Aquarium, das
gleichsam als Verbindungsstück der Liebe zwischen Li'er und
Wang Xiong vor den Augen zerbirst (Forderung nach genuinen
Symbolen). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 357/361)
Regelrechtes Beispiel
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她突然舉起另外一隻手把
那隻玻璃水缸猛一拍,
那
隻金魚缸便珖瑯一
聲拍落到地上,
砸得
粉碎.
Ta turan juqi lingwai yi zhi shou
ba na zhi boli shuigang meng yi pai, na
zhi jinyugang bian guanglang yi sheng pailuodao
di shang, za de fensui.
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Plötzlich hob sie die andere Hand und versetzte dem
Aquarium einen heftigen Stoß, woraufhin der
Goldfischbehälter klirrend auf den Boden fiel und in
unzählige Scherben zerbarst.
(Bai Xianyong
"Azalee")
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Der Symbolgehalt soll
eine weitläufige Interpretation zusammenfassen. Die
Zusammenfassung wird gleichsam mit einem Gegenstand verknüpft,
so dass die Evokation des Gegenstands zugleich den Sinngehalt
impliziert (Forderung nach Verdichtung). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 358)
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Das Symbol soll nicht an einen
bestimmten Kontext gebunden sein, sondern unabhängig von diesem
überzeitliche Bedeutung besitzen (Forderung nach Autarkie).
(黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 358 f.)
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Es sollen nur wenige Symbole
(eventuell in variierender Wiederholung) verwendet werden, um den
Text nicht mit Bedeutungen zu überfrachten (Forderung nach
Sparsamkeit). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 359)
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Die Enträtselung allzu
gebräuchlicher Symbole stellt eine Aufgabe dar, welche weder
Zeit noch Scharfsinn verlangt. Erst wenn sich der Gehalt eines
Symbols nicht unmittelbar dem Sinnverstehen entbirgt, hat es Chance,
als gelungen zu gelten (Forderung nach Feinsinn). (黃慶萱 Huang Qingxuan: 修辭學 Xiucixue "Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Taibei, Sanmin shuju 1988, S. 360 f.)
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