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Chinesische Rhetorik oder "Lehre vom Zurechtlegen der Worte"
   

30 rhetorische Figuren des Chinesischen

Auf dieser Webseite werden 30 rhetorische Figuren des Chinesischen vorgestellt.

Worum geht es? Es geht um die chinesische Sprache. Es geht um die schönsten Textstellen, welche die chinesische Literatur zu bieten hat.

Chinesische Literaturwissenschaftler haben diese gesammelt und versucht, sie in ihrem Aufbau zu verstehen. Dabei haben sie den wiederkehrenden Mustern, wie gleichsam „Worte zurechtgelegt“ werden können, damit sie schön, gedankenreich, eindrucksvoll oder auf eine andere Art wirkungsvoll sind, Bezeichnungen gegeben, damit sie gemerkt, wiedererkannt, verstanden und selber angewandt werden können.

Im Deutschen gibt es übrigens "Wort versus Wörter" und "Wort versus Worte". Worte bestehen aus Wörtern. Die alte Bezeichnung lebt in Redewendungen wie "Dein Wort in Gottes Ohr", "Sie spricht ein großes Wort gelassen aus", "jemanden ins Wort fallen", "das große Wort führen" und "ein gutes Wort für jemanden einlegen". Ein Wort in diesem Sinn drückt einen Gedanken aus. Im Chinesischen gibt es für beide Bedeutungen ein eigenes Schriftzeichen, obwohl beide gleich ausgesprochen werden: ci "Wort/Wörter" und ci "Wort/Worte". Die Übersetzung von xiucixue – so die Bezeichnung der ganzen chinesischen Lehre von den "Rhetorik-" oder "Stil-Mustern" – mit "Lehre vom Zurechtlegen der Worte" ist also beabsichtigt.

Für wen ist die Webseite?

Wer kein Chinesisch kann:

  • Sie können sich die viele kleinen Textauszüge durchlesen. Die Beispiele zeigen Besonderheiten der chinesischen Sprache. Ich habe sie möglichst wortwörtlich übersetzt, um das Chinesische in seiner Individualität zu bewahren.

  • Wenn Sie selber schreiben, können Sie sich Inspiration aus dieser für uns immer noch so fremden Literatur und Sprache holen.

  • Jedes Kapitel beginnt mit einer "Hinführung". Von unserer eigenen Sprache aus lege ich den Steg in die unbekannten Gewässer des Chinesischen. Diese Hinführungen kommen ganz ohne Chinesisch aus.

Wer Chinesisch kann:

  • Über den Vokabeln und der Grammatik erhebt sich eine dritte Ebene, die der Rhetorik. Worte werden gleichsam "zurechtgelegt", um gewisse Zwecke zu erreichen. Und sei es nur die der Schönheit. Vielleicht aber auch, um Prüfungen zu bestehen, so im kaiserlichen China. Oder um etwas bei anderen Menschen zu bewegen.

  • Sie lernen eine Art Hermeneutik, eine Kunst der Interpretation, die ihnen ermöglicht, die Texte als alter und neuer Literatur besser zu verstehen.

Die ausführliche Erläuterungen stammen aus meinem Buch über die so genannte "Xiucixue" .

Das Wort "Xiucixue" wird ungefähr "siu-ze-süe" ausgesprochen. Wer kein Chinesisch spricht, kann s statt x sagen.

"Rhetorik" ist ein Wort von Aristoteles. Es lenkt die Aufmerksamkeit in unsere eigene Tradition. Hier geht es aber darum, eine fremde mit möglichst unvoreingenommenen Blick kennen zu lernen. Deshalb die Übersetzung des chinesischen Worts für "Rhetorik": Xiucixue mit "Lehre (xiu) vom Zurechtlegen (xiu) der Worte (ci)".

Von der Übersetzung der Termini mit Hilfe der antiken Rhetorik habe ich Abstand genommen, und die chinesischen Fachbezeichnungen wortwörtlich wieder gegeben, weil man ihnen ansonsten Gewalt antut, sie in ein System presst, dem sie nicht entstammen und damit ihre Eigenart nicht zur Geltung bringt.

Xiucixue und Rhetorik überschneiden sich partiell (Xiucixue = elocutio-Teil der Rhetorik). Aber eigentlich ist es nicht ganz korrekt: Rhetorik zielt auf Persuasion, auf Überreden und Überzeugen, abstrakter: auf Wirkung. Das ist nicht das Anliegen der Xiuxcixue. Wenn man das Wort "Xiucixue" wörtlich mit "Lehre vom Zurechlegen der Worte" übersetzt, dann bleibt man neutral eingestellt.

In der Xiucixue werden schlicht Worte gleichsam "zurecht gelegt", zu welchem Zweck auch immer, sei es um den Willen des Anderen zu beeinflussen oder einfach nur um in irgend einem Sinn "schön" zu sein.

Ich hoffe, Sie finden hier Anregungen zur weiteren Beschäftigung mit diesem wirklichen lohnenden Gebiet der chinesischen Sprache. Man lernt, die chinesischen Texte besser verstehen und dadurch besser zu übersetzen. Und man man lernt, Chinesisch gewandter, mit mehr Ausdruckskraft, vor allem zu schreiben, aber natürlich auch zu sprechen. Und ob sich da und dort nicht auch manch' eine Anregung aus dem Chinesischen für eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller zur Umsetzung im Deutschen findet? Ich meine ja.

Entdecken Sie dieses unbekannte Gebiet! Viel Vergnügen!

Hinführung durch Beispiele

Die Xiucixue ist die Lehre von den Möglichkeiten des Formulierens. Die folgenden Beispielen veranschaulichen das.

Der Satz Wir werden immer an dich denken. etwa lässt sich verschiedenartig in Worte fassen:

  1. Wir werden immer an dich denken? (Frage)
  2. Immer werden wir an dich denken. (Wortumstellung)
  3. Wir werden immer an dich denken, an dich denken, an dich denken! (Wiederholung)
  4. Wir werden immer so an dich denken, wie wir noch nie an jemanden gedacht haben und nie an irgend jemanden denken werden. (Übertreibung)

In jedem der insgesamt fünf Fälle werden die Worte anders "zurechtgelegt", das heißt, jeder Fall realisiert ein anderes "Wortzurechtlegemuster".

  1. Das erste Satzbeispiel ist eine schlichte Feststellung.
  2. Im zweiten werden die gleichen Wörter in gleicher Kombination wie im ersten verwendet, die Satzart wechselt jedoch von der Aussage- in die Frageform.
  3. Um den dritten Satz zu bilden, wurden wiederum die gleichen Wörtern, nun aber in einer anderen Kombination gebraucht.
  4. Im vierten erscheinen nochmals die gleichen Wörter, jetzt teilweise wiederholt.
  5. Erst im fünften Satz werden zusätzlich Wörter aus dem Wörterreservoir der Sprache ausgewählt und hinzugefügt.

Nicht die einzigen aber zwei der häufigsten Operationen, die bei derartigen Formulierungen angewandt werden, sind die Auswahl der Wörter einerseits und ihre Anordnung anderseits.

Die Art der Auswahl und Anordnung der Wörter bildet das "Wortzurechtlegemuster", ähnlich den Dominosteinen, die so ausgewählt werden, dass sie nach Maßgabe eines vorgestellten Musters zusammenpassen.

Der Terminus "Wortzurechtlegemuster" stellt die Übersetzung des chinesischen Worts 修辭格 xiucige dar.

Das "Wortzurechtlegen" besteht im sprachbewussten und gezielten Auswählen und Anordnen insbesondere von chinesischen Schriftzeichen zu Wortgruppen oder Sätzen. Auf der Webseite werden rund 30 solcher "Wortzurechtlegemuster", also 30 Möglichkeiten des Formulierens beschrieben.

Ein chinesisches Beispiel

Die Xiucixue ist sonach die Lehre von den Wortzurechtlegemustern. Im deutschsprachigen Raum gibt es kein Äquivalent zu dieser Art Lehre. Die Verbalisierungsmöglichkeiten werden entweder in der Rhetorik, Stilistik, Poetik oder Literaturwissenschaft behandelt, sind also stets in einen anderen Zusammenhang eingesenkt. Dass es ein Äquivalent prinzipiell geben kann, erklärt sich aus dem Parallelismus der Verbalsierungsmöglichkeiten unter den verschiedenen Sprachen allgemein.

Sofern sich die Formulierungsmöglichkeiten zweier Sprachen decken, sind die Sprachen wechselseitig übersetzbar. An jenen Stellen, wo eine Sprache eine Verbalisierungsweise allein beansprucht, versagt jeder Übersetzungsversuch.

Dies ist ganz deutlich bei einem der Wortzurechtlegemuster der Fall, nämlich dem "Schriftzeichenspalten".

Das sogenannte "Xizi" gründet in der Eigenart der chinesischen Schrift. Der Schriftzeichenkörper eines Worts wird in andere Schriftzeichenkörper zerlegt, die selbständige Repräsentanten eigenständiger Wörter sind.

Das Ausgangs-Ganze sowie seine Teile, die als selbständige Ganze einer anderen Ordnung fungieren, bilden die Grundlage eines Satzes. Diese Möglichkeit muss in jeder Sprache mit lateinischer Schrift bei der Übersetzung verloren gehen.

Nur wenn die Sprache, in welche übersetzt wird, ebenfalls die Möglichkeit der Aufspaltung von Schriftzeichenkörper bietet, kann das Xizi übersetzt werden. Im Deutschen ist das nicht der Fall.

Beispiele: Schlichtes und kunstvolles Zurechtlegen

Im Folgenden wird das deutschsprachige Satzbeispiel, das zu Anfang der Einleitung in Variationen angeführt worden ist, aufgegriffen. Es wird dargelegt, wie derselbe Satz in einer der Variationen im Chinesischen formuliert werden kann. Gleich anschließend folgt ein zweites Beispiel.

Beide Beispiele zeigen, dass die Worte entweder schlicht oder kunstvoll zurechtgelegt werden können.1 Schlicht werden sie zurechtgelegt, wenn es um Sachlichkeit geht, wie beispielsweise in wissenschaftlichen Texten; "kunstvoll" hingegen, wenn es um die sprachliche Form zu tun ist, wie zum Beispiel in literarischen Texten.

"Kunstvoll" ist nicht im Sinn von "voll Kunst" gemeint, sondern "nach Art der Kunst auf die Form bedacht", wie etwa ein "kunstvoll gedeckter Tisch" noch keine Kunst bedeutet.

Chen Wangdao unterscheidet dem schlichten und dem kunstvollen Zurechtlegen entsprechend die "negative Xiucixue" (消極修辭學 xiaoji xiucixue) und die "positive Xiucixue" (積極修辭學 jiji xiucixue).2

Die "positive Xiucixue" gilt ihm in erster Linie als die Lehre von den 修辭格 xiucige "Wortzurechtlegemustern".

Die Wortzurechtlegemuster kommen ebenso in wissenschaftlichen Texten vor wie in literarischen. Der einfache Stil der schlicht zurechtgelegten Worte verdankt sich nicht selten ebenso wie der literarische Stil der kunstvoll zurechtgelegten Worte gespanntester Konzentration und höchstem Raffinement.

Der Unterschied zwischen schlichtem und kunstvollem Zurechtlegen der Worte liegt nicht in der Tatsache des Verwendens von Wortzurechtlegemustern, sondern vielmehr in der Art der Aufmerksamkeitslenkung.

Das schlichte Zurechtlegen führt die Aufmerksamkeit des Rezipienten geradewegs auf das Mitgeteilte.

Das kunstvolle hingegen lenkt sie nicht nur auf das Mitgeteilte allein, sondern zusätzlich auf die Art und Weise, auf die Gestaltung und Form der Mitteilung; die Signifikanten verweisen in der Sprache der Strukturalisten – autoreflexiv auf sich selbst (siehe die Beispiele unten).

Von der positiven Xiucixue führt kein Weg per negationem zur negativen: das schlichte Zurechtlegen der Worte entsteht nicht einfachhin durch das Meiden der Wortzurechtlegemuster. Es lassen sich schlichte Sätze figurieren, die sich an Wortzurechtlegemuster halten, und es lassen sich Wortzurechtlegemuster verwirklichen, ohne dass sich kunstvolle Sätze bilden.

Der Unterschied, so wie in Chen Wangdao trifft, ist zwar möglich, hilft aber wenig bei der Bestimmung des Gegenstandsgebiets. Die Webseite behandelt mithin Huang Qingxuan folgend, welcher die "positive Xiucixue" mit der "Xiucixue" schlechthin gleichsetzt, nur die positive Xiucixue. Die Xiucixue definiert sich im Folgenden als eine Lehre von Mustern, nach welchen die Worte zurechtgelegt werden können, gleichviel ob schlicht oder kunstvoll.

Schlichtes Zurechtlegen

Kunstvolles Zurechtlegen

我們 永遠 想念你.

Women yongyuan xiangnian ni.

Wir werden immer an dich denken.

我們 永遠 想念你, 想念你, 想念你!

Women yongyuan xiangnian ni, xiangnian ni, xiangnian ni!

Wir werden immer an dich denken, an dich denken, an dich denken!

真正的 好文章 是不隨便 用, 甚至於 干脆不用 形容詞和 典故的.

Zhenzheng de hao wenzhang shi bu suibian yong, shenzhiyu gancui bu yong xingrongci he diangu de.

Die [sprachlichen Ausdrucksmittel] eines wahrhaft guten Textes werden nicht beliebig gehandhabt, selbst die spröde [Sacharstellung] vermeidet [bewusst] Beiwörter und Anspielungen.

真正的 好文章 是不隨便 用, 甚至於 干脆不用 形容詞和 典故的, 好象美麗 的人 用不著多 施脂粉, 亂 穿衣服 一樣.

Zhenzheng de hao wenzhang shi bu suibian yong, shenzhiyu gancui bu yong xingrongci he diangu de, haoxiang meili de ren yongbuzhao duo shi zhifen, luan chuan yifu yiyang.

Die [sprachlichen Ausdrucksmittel] eines wahrhaft guten Textes werden nicht beliebig gehandhabt, selbst die spröde [Sacharstellung] vermeidet [bewusst] Beiwörter und Anspielungen, der Schönen gleich, welche auch ohne viel Schminke auskommt und unordentlich die Kleidung trägt.

Es gibt bis heute noch keine umfassende Darstellung der Xiucixue im deutschsprachigen Raum. Diesem Mangel soll mit den vorliegenden Texten abgeholfen werden.

Blick über die 30 Grundbegriffe

  1. "Gefühlsseufzer": Gantan 感嘆. Das Zurechtlegen von Empfindungsworten, um beispielsweise Klage, Überraschung, Ekel oder Verwunderung auszudrücken, wird als "Gantan" bezeichnet

  2. "Fragenstellen": Shewen 設問. Das Zurechtlegen der Worte zu einer Frage, heißt "Shewen".

  3. "Beschreiben": Moxie 摹寫. Werden die Worte so zurechtgelegt, dass sie eine Sache beschreiben, sprechen die chinesischen Theoretiker/innen vom Wortzurechtlegemuster "Moxie".

  4. "Nachahmen": Fangni 仿擬. Das Zurechtlegen der Worte so wie sie ein anderer zurechtgelegt hat, heißt "Fangni". Eine literarische Vorlage wird variierend kopiert.

  5. "Zitieren": Yinyong 引用. Legt man nicht nur eigene, sondern zudem Worte anderer Personen zurecht, so hat man das Wortzurechtlegemuster "Yinyong" angewandt.

  6. "Versteckte Wörter": Cangci 藏詞. Legt man die Worte so zurecht, dass Worte fehlen, welche aber erraten werden können, so handelt es sich um ein Anwendung des Wortmusters "Cangci".

  7. "Fliegendes Weiß": Feibai 飛白. Werden die Worte absichtlich fehlerhaft zurechtgelegt, nennt man das "Feibai".

  8. "Schriftzeichenspalten": Xizi 析字. Wenn die geschriebenen Worte so zurechtgelegt werden, dass ein Schriftzeichen gleichsam wie ein Holzstück mit der Axt derart aufgespalten wird, dass jeder abgespaltene Teil selbständig ein neues eigenes Schriftzeichen und Wort ergibt, sprechen die chinesischen Theoretiker/innen vom Wortzurechtlegemuster "Xizi".

  9. "Wortartverwandlung": Zhuanpin 轉品. Wird ein einzelnes Wort beispielsweise einmal als Verb, ein andermal als Adjektiv oder Substantiv zurechtgelegt, bezeichnet man diese Weise der Wortartänderung als "Zhuanpin".

  10. "Krümmen": Wanqu 婉曲. Das "Wanqu" ist das Zurechtlegen der Worte derart, dass sie den Gegenstand nur umschreiben oder andeuten, ihn aber nicht direkt bezeichnen.

  11. "Übertreiben": Kuashi 夸飾. Werden die Worte so zurechtgelegt, dass das dargestellte Maß über das tatsächliche Maß hinausgeht, es gleichsam überbietet, dann bezeichnet man dieses Wortzurechtlegemuster als "Kuashi".

  12. "Illustratives Erläutern": Piyu 譬喻. Die Worte können kraft des Wortmusters "Piyu" auch so zurechtgelegt werden, dass beschriebener Gegenstand oder erzähltes Geschehen für das innere, geistige Auge etwa durch einen Vergleich anschaulich sichtbar werden.

  13. "Lehnersatz": Jiedai 借代. Legt man zur Bezeichnung einer Sache nicht die exakten, sondern die von einem Einzelaspekt dieser Sache oder seiner Umgebung gleichsam ausgeliehenen Worte, zurecht, handelt es sich um eine Anwendung des Wortmusters "Jiedai".

  14. "Verwandeln": Zhuanhua 轉化. Macht der Schreiber oder Sprecher durch die Art, wie er die Worte zurechtlegt, aus toten Gegenständen Lebewesen oder verdinglicht umgekehrt Menschen, dann bedient er sich bewusst oder unbewusst des Wortmusters "Zhuanhua".

  15. "Kontrastieren": Yingchen 映襯. Die Worte können zu Gegensätzen zurechtgelegt werden, so dass vage Unterschiede durch den entstehenden Kontrast deutlicher hervortreten. Diese Möglichkeit der Sprache nennt man "Yingchen".

  16. "Doppelbezug": Shuangguan 雙關. Das absichtliche Zurechtlegen doppel-deutiger Worte heißt "Shuangguan".

  17. "Umkehrung und Umwendung": Daofan 倒反. Die Worte können auch so zurechtgelegt werden, dass sie, neutral oder mokant, das Gegenteil dessen sagen, was tatsächlich gemeint ist. Dieses Wortzurechtlegemuster heißt "Daofan".

  18. "Symbol": Xiangzheng 象徵. Die Worte können so zurechtgelegt werden, dass ein sichtbarer, fasslicher Gegenstand vorgestellt wird, der eine abstrakte Bedeutung vertritt. Das zugrundeliegende Wortzurechtlegemuster heißt "Xiangzheng".

  19. "Präsentation": Shixian 示現. Orientiert sich das Zurechtlegen der Worte an der sinnlichen Wahrnehmung des Alltags, dann werden die Gegenstände so dargestellt, dass sie vermöge der Vorstellung gleichsam gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt oder hautnah gespürt werden können. Da die reale sinnlichen Erfahrung nur in der Gegenwart möglich ist, kommt es durch die sinnliche Darstellung zu einer Art Vergegenwärtigung, ein Phänomen, das sowohl in der chinesischen Bezeichnung "Shixian" wie in seiner deutschen Übersetzung "Präsentation" anklingt.

  20. "Anrufen": Hugao 呼告. Das "Hugao" ist das Anrufen von Dingen, Pflanzen, Tieren, menschlichen oder übermenschlichen Wesen. Das Zurechtlegen der Worte folgt einer bestimmten Ordnung: es wird meist zuerst der Namen der angerufenen Personen genannt und erst dann folgt die Mitteilung.

  21. "Einpressen und Einfügen": Xiangqian 鑲嵌. Werden zwischen Worten "kollektive Wortverbände" oder "Kataloge" eingefügt, entweder als ganze oder aufgesplittert, handelt es sich um ein "Xiangqian". Solche "Kataloge" sind beispielsweise "Frühling, Herbst, Sommer, Winter", "Osten, Süden, Norden, Westen", die fünf chinesischen Grundfarben "Blau, Gelb, Rot, Weiß, Schwarz", die fünf Geschmacksqualitäten "sauer, süß, bitter, scharf, salzig", die fünf inneren Organe "Herz, Leber, Milz, Lunge, Niere", die Dezimalreihe "eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn" oder die Lagebezeichnungen "links, rechts", "oben, unten".

  22. "Sichgleichen und Aufschichten": Leidie 類叠. Das Wortzurechtlegemuster "Leidie" besteht im Zurechtlegen der gleichen Worte, entweder unmittelbar nacheinander oder durch andere unterschiedliche Worte getrennt. Es entstehen Wiederholungen von Wörtern oder Sätzen im Kontakt oder auf Distanz.

  23. "Korrespondierende Paarglieder": Duiou 對偶. Legt man die Worte auf die gleiche Weise zurecht, nämlich so, dass die Wörter in zwei Sätzen zwar verschieden, die Wortartenabfolge und Wortanzahl in dem einen und dem anderen Satz aber gleich sind, dann handelt es sich um ein "Duiou".

  24. "Reihung gleicher Glieder": Paibi 排比. Legt man, um einen Sachverhalt zu beschreiben, die Worte von drei oder mehr Sätzen stets ungefähr in der gleichen Wortartenabfolge zurecht, so sprechen die Theoretiker/innen der "Lehre vom Zurechtlegen der Worte" von einem "Paibi".

  25. "Weitergeben in Schichten": Cengdi 層遞. Das auf- oder absteigernde Zurechtlegen der Worte heißt "Cengdi".

  26. "Fingerhut": Dingzhen 頂針. Die Worte so zurechtlegen, dass ein Wort (Wortgruppe) vom Satzende des vorhergehenden sich am Satzanfang des darauf folgenden Satzes wiederholt, nennt man "Dingzhen".

  27. "Umkehrschrift": Huiwen 回文. Legt man die Schriftzeichen zu einer Reihe zurecht und wiederholt man dieselbe Reihe aber in umgekehrter Folge, beziehungsweise legt man sie so zurecht, dass ein Satz recht- wie rückläufig gelesen einen Sinn ergibt, handelt es sich um ein "Huiwen".

  28. "Verhedderung": Cuozong 錯綜. Werden die Worte so zurechtgelegt, dass sie sich teils wortwörtlich, teils synonym wiederholen, so wendet man eine Form des "Cuozong" an.

  29. "Wechselndes Umhüllen": Daozhuang 倒裝. Wenn man dieselben Worte einmal zu diesem und einmal zu einem andern Satz zurechtlegt, sie also wie Dominosteine nur neu ordnet, ohne dass ein Stein hinzugefügt oder weggelassen wird, dann handelt es sich um eine Anwendung des "Daozhuang".

  30. "Springen und Auslassen": Tiaotuo 跳脫. Werden die Worte gleichsam einer Linie gemäß zurechtgelegt, und wird diese Linie entweder unter- oder abgebrochen, dann spricht man von einem Tiaotuo. Der Satzfluss wird beispielsweise durch eine Zwischenbemerkung unterbrochen oder der Sprecher kommt ins Stocken und bricht seine Rede ganz ab.


1 王德春 Wang Dechun: 修辭學探索 Xiucixue tansuo "Forschungen zur Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Beijing, Beijing chubanshe, S. 307.

2 陳望道 Chen Wangdao: 修辭學發凡 Xiucixue fafan "Grundriss der Lehre vom Zurechtlegen der Worte", Shanghai, Jiaoyu chubanshe 1979, S. 53 ff.

Die chinesischen Schriftzeichen sind mit der Umschrift "Hanyu pinyin" versehen worden, wobei die Schreibung des modernen Chinesisch weitgehend der normierten Regelung folgt.

Die Umschrift soll das Lesen der Schriftzeichen sowie das Nachschlagen in Wörterbüchern erleichtern.

Was das klassische Chinesisch anbetrifft, so steht für jedes Schriftzeichen in der Umschrift ein eigenes Wort, zumal im klassischen Chinesisch einem Schriftzeichen meistens ein einzelnes Wort entspricht.

Obgleich eine feinere und genauere Unterteilung als die in "modernes" und "klassisches Chinesisch" wünschenswert wäre, wurde auf eine solche der Einfachheit halber verzichtet.

Die "Umschrift" ist keine "Lautschrift". Die Umschrift gibt nur teilweise die exakte Aussprache wieder.

Das Wort "Xiucixue" beispielsweise wird ungefähr "siu-ze-süe" ausgesprochen. Die genaue Lautung freilich müsste mithilfe der internationalen Lautschrift wiedergegeben werden.

Alle Übersetzungen stammen, sofern nicht anders angegeben, von mir.

Im Lauf des Übersetzens bin ich zu der Auffassung gelangt, dass es besser ist, poetische Texte möglichst wortwörtlich zu übersetzen, um der Schönheit der im Chinesischen oft verwendeten Bildersprache nicht verlustig zu gehen, theoretische hingegen eher so wiederzugeben, dass die beschriebene Sache möglichst deutlich zur Geltung kommt, und da ein wenig zu schärfen, wo das Original vage ist.

Wenn eine Übersetzung greifbar war, habe ich sie nicht wortgetreu übernommen.

Einmal, um da zu verbessern, wo es mir möglich war, zum anderen, um die Wortzurechtlegemuster auch im Deutschen anzudeuten.

Es ist allgemein üblich, die chinesischen Bezeichnungen der Wortzurechtlegemuster mit den verwandten Termini aus dem griechisch-römisch-mittelalterlichen Rhetoriksystem zu übersetzen.

Zum Beispiel mit "Paradoxon", "Metaphora", "Exemplum" oder "Oxymoron".

Die Übersetzungen der Xiucixue-Termini mit Äquivalenten aus der Rhetorik erschien mir deshalb nicht sinnvoll, weil die Eigenständigkeit der Xiucixue möglichst gewahrt werden soll. Sattdessen habe ich die chinesischen Bezeichnungen wortwörtlich (sensu strictissimo) übersetzt, ohne mir die Freiheit zu nehmen, da abzuändern, wo durch Modifikation die bezeichnete Sache verständlicher wird.

Allgemein gilt, dass man potentiell das ganze System übernimmt, wenn man nur ein Schlüsselwort aus einem System übernimmt, denn ein Gebilde ist dadurch System, dass von jeder Stelle ein Weg zu jeder beliebigen anderen Stelle der gegliederten Einheit mit gesetzmäßiger Notwendigkeit führt. Eine solche "System-Verhedderung" wird durch die Übersetzung im Wortsinn vorab vermieden.